Quelle: Human Rights Watch - https://www.hrw.org/de/world-report/2023/country-chapters/afghanistan
Dieser Text ist eine Zusammenfassung des Afghanistan-Kapitels aus dem World Report 2023. Das ganze Kapitel in englischer Sprache sowie weitere UEbersetzungen gibt es hier.
Die Taliban haben seit ihrer Machtuebernahme im August 2021 Regeln und politische Massnahmen eingefuehrt und durchgesetzt, die Frauen und Maedchen ihre Grundrechte verweigern und die Meinungsfreiheit unterdruecken, so Human Rights Watch heute in seinem World Report 2023. Die umfassende Missachtung von Menschenrechten durch die Taliban hat zu ihrer weltweiten Isolation beigetragen, die wirtschaftliche und humanitaere Krise in Afghanistan verschaerfte sich.
Im Maerz 2022 brachen die Taliban endgueltig ihr Versprechen, weiterfuehrende Schulen fuer Maedchen wieder zu oeffnen. Die meisten dieser Schule waren nach der Machtuebernahme geschlossen worden. Die Sicherheitskraefte der Taliban loesten Proteste von Frauen gewaltsam auf und nahmen zahlreiche Demonstrierende fest. Die Behoerden kuendigten ausserdem Vorschriften an, wonach Frauen, einschliesslich Fernsehmoderatorinnen, in der OEffentlichkeit ihr Gesicht verhuellen muessen und maennliche Familienmitglieder bestraft werden, wenn Frauen gegen Bewegungs- und Kleidervorschriften verstossen.
„Die Taliban sind mehr an der Verfolgung von Frauen und der Inhaftierung von Journalist*innen interessiert als an der Bewaeltigung der wirtschaftlichen und humanitaeren Krise in Afghanistan“, sagte Fereshta Abbasi, Afghanistan-Forscherin bei Human Rights Watch. „Die Taliban-Behoerden sollten ihren internationalen rechtlichen Verpflichtungen nachkommen und Frauen und Maedchen erlauben, zu lernen, zu arbeiten und sich frei zu bewegen.“
In dem 712-seitigen World Report 2023, der 33. Ausgabe, beschreibt Human Rights Watch die Lage der Menschenrechte in fast 100 Laendern. In ihrem einleitenden Essay erklaert Interim-Exekutivdirektorin Tirana Hassan, dass es in einer Welt, in der sich die Machtverhaeltnisse verschoben haben, nicht mehr moeglich ist, sich bei der Verteidigung der Menschenrechte auf eine kleine Gruppe von Regierungen groesstenteils aus dem Globalen Norden zu verlassen. Die weltweiten Aktionen rund um die Ukraine erinnern uns an das ausserordentliche Potenzial, das entsteht, wenn Regierungen ihre Menschenrechtsverpflichtungen auf globaler Ebene wahrnehmen. Es liegt in der Verantwortung der einzelnen Laender, ob gross oder klein, ihre Politik an den Menschenrechten auszurichten und sich gemeinsam fuer den Schutz und die Foerderung der Menschenrechte einzusetzen.
UEber das gesamte Jahr 2022 verhafteten die Sicherheitskraefte der Taliban Journalist*innen und Personen, die Kritik an den Taliban in den sozialen Medien veroeffentlichten. Die Taliban liessen ehemalige Sicherheitskraefte der Regierung sowie mutmassliche Kaempfer und Unterstuetzer der bewaffneten Gruppe Islamischer Staat in der Provinz Khorasan (ISKP) gewaltsam verschwinden. Im April fanden Bewohner der Provinz Nangahar immer wieder Leichen, bei denen es sich vermutlich um ISKP-Haeftlinge handelte, die von den Taliban heimlich hingerichtet worden waren. Taliban-Kraefte verpruegelten und verhafteten Anwohner, die beschuldigt wurden, die bewaffneten Kraefte der Opposition zu unterstuetzen, und richteten in einigen Faellen Gefangene kurzerhand hin.
Die massive Wirtschaftskrise Afghanistans setzte sich 2022 fort und wurde durch drastische Kuerzungen der Geberhilfen, eine anhaltende Liquiditaetskrise, steigende Preise fuer Lebensmittel und andere lebenswichtige Gueter sowie durch Beschraenkungen des Bankensektors durch auslaendische Regierungen verschaerft. Millionen Kinder waren akut unterernaehrt. Mehr als 90 Prozent der afghanischen Bevoelkerung waren das ganze Jahr ueber von Ernaehrungsunsicherheit betroffen. Frauen und Maedchen litten aufgrund der von den Taliban verhaengten Arbeits- und Bewegungsfreiheitsbeschraenkungen besonders stark unter der Wirtschaftskrise.
ISKP-Kaempfer veruebten Selbstmordattentate auf Hazaras und andere religioese Minderheiten, bei denen Hunderte Menschen getoetet und verletzt wurden.
In Kandahar veranlasste die Entdeckung von mindestens zwei Massengraebern, die vermutlich aus der Zeit vor der Machtuebernahme durch die Taliban stammen, Menschenrechtsaktivist*innen dazu, forensische Untersuchungen zu frueheren Menschenrechtsverletzungen zu fordern, die jedoch bis zum Jahresende noch nicht stattgefunden hatten.
Am 31. Oktober gaben die Richter*innen des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) bekannt, dass die seit langem aufgeschobenen Ermittlungen der Anklagebehoerde wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in Afghanistan wieder aufgenommen werden koennen, da es keine Anhaltspunkte dafuer gibt, dass die afghanischen Behoerden ernsthafte Verfahren durchgefuehrt haben oder durchfuehren werden, und das Mandat des IStGH somit bestehen bleibt.